Corona-Blues: wie Chefs die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter stärken können (NZZ Artikel, 29.03.2021)

Der PwC-Schweiz-Chef Andreas Staubli hat das Thema psychische Gesundheit kürzlich zur strategischen Priorität erhoben. Die Firma ist mit ihren 3250 Mitarbeitern in der Schweiz eine Kooperation mit Ensa eingegangen, hinter der die Stiftung und das Compasso Mitglied Pro Mente Sana steht.

Ältere Mitarbeiter stecken den Lockdown besser weg als jüngere, aber der Leidensdruck ist für alle hoch. Darauf reagieren Firmen und machen die psychische Gesundheit zu einer Priorität. Acht Tipps helfen Chefinnen und Chefs, zur Gesundheit ihrer Mitarbeiter beizutragen.

Fühlen Sie sich zuweilen niedergeschlagen, emotional und psychisch erschöpft? Dann sind Sie in guter Gesellschaft. Mit der zweiten Corona-Welle hat sich die Belastung der Angestellten akzentuiert. Darauf deutet eine Umfrage des Beratungs- und Prüfunternehmens PwC unter seinen Mitarbeitern in der Schweiz. Während im ersten Lockdown vor einem Jahr die Angestellten über physische Erschöpfung geklagt hatten, macht sich nun vermehrt auch eine emotionale und mentale Ermüdung bemerkbar.

Die anfängliche Euphorie über das Home-Office sei verflogen und habe einem zunehmenden Überdruss Platz gemacht, schreibt auch der Basler Pharmakonzern Novartis auf Anfrage. Es habe eine Verschiebung stattgefunden von zwischenmenschlichen Problemen im Betrieb zu Klagen über Isolation und fehlende persönliche Kontakte.

Erste Hilfe für psychische Leiden
Die Sorge der Unternehmen um die psychische Gesundheit der Mitarbeiter hat durch die Corona-Krise einen Schub erhalten. Grosse Unternehmen wie PwC oder Novartis bieten ihren Mitarbeitern ein umfangreiches Programm, um sie physisch und psychisch zu stärken. Aber auch kleine und mittlere Unternehmen können ihre Mitarbeiter unterstützen.

Der PwC-Schweiz-Chef Andreas Staubli hat das Thema psychische Gesundheit kürzlich zur strategischen Priorität erhoben. Die Firma ist mit ihren 3250 Mitarbeitern in der Schweiz eine Kooperation mit Ensa eingegangen, hinter der die Stiftung Pro Mente Sana steht. Wie PwC bietet auch Novartis Erste-Hilfe-Kurse für psychische Gesundheit an. Die Corona-Krise habe geholfen, das Thema zu enttabuisieren, sagt Nicole Hättenschwiler, die bei PwC Schweiz für die Programme verantwortlich ist. Lanciert wurde das Thema an einer Panel-Diskussion mit Führungspersonen. Auch Partner, also Vertreter der höchsten Karrierestufe bei PwC, hätten offen über ihren Umgang mit Stress und Druck gesprochen. Einer habe verraten, dass er nach dem Mittag im Büro einen Kurzschlaf mache, um für den restlichen Tag Energie zu tanken. «Wenn es der Chef macht, kann auch ich das ohne schlechtes Gewissen tun», mag sich mancher Mitarbeiter gedacht haben – und das war auch beabsichtigt.

PwC bietet ein Training zur mentalen Gesundheit für die Führungskräfte und eines für die Mitarbeiter an. Dabei wird zum Beispiel in Vierergruppen geübt, wie man psychische Probleme anspricht. Ich-Botschaften sind wichtig («Ich habe das Gefühl, dass . . .», «Ich merke, dass . . .»), aber man soll sich auch nicht als Therapeut versuchen. Eine gute Idee ist es auch, einen «wellbeing buddy» im Team zu finden, also eine Person, mit der man sich wöchentlich über sein Befinden austauscht.

Rund 14% der Belegschaft hätten dieses Training bereits besucht, wobei die Slots immer sofort vergeben seien, sagt Hättenschwiler. Die Mitarbeiter sehen zur Einführung ein eindrückliches Video der Weltgesundheitsorganisation, in dem eine Depression mit einem schwarzen Hund illustriert wird, der einem überallhin folgt und mit der Zeit alles vereinnahmt. Gegen milde Formen von Depression ist physische Aktivität hochwirksam. Dies ist ein Grund dafür, dass PwC auch virtuelle Trainings anbietet.

Seit März 2020 haben fast 1000 Personen solche Trainingskurse gebucht, dazu kommen noch 380 beim Yoga. Darüber hinaus gibt es monatliche Ernährungs-Webinare zu Themen wie der Stärkung des Immunsystems, Gewichtskontrolle oder veganem Kochen. Wettbewerbe wie das Schrittezählen, an dem sich 42 Teams beteiligt hatten, sollen überdies den Zusammenhalt fördern.

Achtsamkeit im Normalbetrieb
Auch Novartis schreibt, dass Vorgesetzte «offen über ihre Befindlichkeit und ihre Verletzlichkeit» in der Krisensituation sprächen. Dadurch sei das Stigma, über mentale Probleme zu sprechen, überraschend schnell abgebaut worden. In der Krise gehe man besonders achtsam miteinander um. Man erwarte aber, so räumt der Konzern ein, dass es ein schwieriger Weg bleibe, dies in den Normalbetrieb überzuführen.

Zu den Führungskräften auf dem Podium bei PwC, die offen über ihre Erfahrungen berichtet hatten, gehörte auch Michaela Christian Gartmann, die Personalchefin für die Schweiz. Ihre Abteilung war gerade in der Krise stark gefordert. Um aber nicht nur am Bildschirm zu sitzen, schaltet sie sich auch einmal in ein virtuelles Meeting ein, während sie am Walken ist. Sie meditiert regelmässig, achtet gezielt auf Pausen, gerade auch mittags, und geht jeden Tag in die Natur.

Der Betriebswirtschafter Georg von Krogh und sein Forschungsteam von der ETH Zürich haben bei PwC über elf Wochen jeweils 500 bis 1000 Mitarbeiter befragt. Dabei ging es auch um die Anwendung digitaler Technologien. Die Resultate flossen in die Gestaltung der Programme ein. In einer Auswertung von sozialen Netzwerken in mehreren Ländern hat er zudem festgestellt, dass sich die Stimmung der Mitarbeiter parallel zur epidemiologischen Lage entwickelt, wenn auch mit einer zweiwöchigen Verzögerung.

Wenn also die Zahlen vom Bundesamt für Gesundheit schlecht sind, können Führungskräfte mit positiven Meldungen dem etwas entgegenwirken. Auch im Tages- und Wochenverlauf schwankt die Stimmung deutlich: Gut ist sie am Montagmorgen und am Mittwoch, was man vielleicht für die Sitzungsplanung nutzen kann.

Nun können kleine und mittlere Unternehmen (KMU) kaum so ausgeklügelte Programme anbieten wie PwC oder Novartis. Aus Angaben und Gesprächen mit den Experten von PwC, Novartis und dem Betriebswirtschafter von Krogh kristallisieren sich jedoch acht Tipps heraus, die auch Führungskräfte von KMU beherzigen können, um ihre Mitarbeiter gesundheitlich zu unterstützen:

  • Abläufe und Prozesse vereinfachen: Man kann komplexe Abläufe nicht 1:1 aus der analogen in die Zoom-Welt übertragen. Eine Entschlackung ist nötig – und das kommt der Firma auch in hoffentlich bald wieder normalen Zeiten durchaus zugute.
  • Sitzungen verkürzen: Dazu gehört auch, dass man den Sitzungsrhythmus verringert bzw. die digitalen Treffen kürzer hält. Hättenschwiler von PwC weist darauf hin, dass die Voreinstellung oft auf eine halbe oder volle Stunde laute. Deshalb dauerten die meisten Meetings eine Stunde. Doch man könne dasselbe auch in fünfzig Minuten erledigen. Zudem hält sie eine Verschnaufpause von zehn Minuten zwischen Meetings für wichtig.

  • Mehr Einzelgespräche: Wenn man Komplexität reduziert, sollten Chefs die gewonnene Zeit für mehr Einzelgespräche nutzen. Hier gilt es, den Fokus besonders auf die jüngeren Mitarbeiter zu richten. Laut von Krogh geht aus den Umfragen klar hervor, dass sie unter der Situation am meisten leiden. Sie haben oft kein stützendes familiäres Umfeld. Und wenn sie neu sind, können sie die Chefs nicht immer «lesen», was zu Frustration führt.

  • Klare Grenzen setzen: Von Mitarbeitern hört man oft, dass die Abgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit im Home-Office schwierig sei; man sei eigentlich immer im Büro. Es ist deshalb besonders wichtig, dass man Grenzen setzt und Chefs diese Trennung auch akzeptieren. Mitarbeiter sollten darauf zählen können, dass man sie von 22 bis 7 Uhr mit Mails und Telefonaten in Ruhe lässt. Kommunikationssoftware wie Slack bewusst auszuschalten, gehört ebenfalls zur Psychohygiene. Wer keine Grenzen setzt, brennt mit der Zeit aus.

  • Vertrautheit herstellen: Eine virtuelle Kaffeemaschine oder ein virtueller Wasserspender, wo man sich begegnen kann, aber nicht muss, kann ein wenig den informellen Rahmen imitieren, den man vom Büro her kennt und den viele vermissen. Wichtig ist auch, dass jeder in den virtuellen Meetings die Kamera einschaltet. Dann hat man als Chef oder Chefin die Chance, Reaktionen von den Gesichtern der Mitarbeiter abzulesen.

  • Das Wohlbefinden abfragen: Check-ins am Anfang und Check-outs am Ende von Meetings hülfen, die Mitarbeiter besser kennenzulernen, schreibt Novartis. Das lässt sich schon mit einfachen Fragen bewerkstelligen. Beispiele sind: «Wie geht es euch?» Oder: «Was steht am Wochenende an?» Es ist generell wichtig, regelmässig auf das Wohlbefinden einzugehen, und sei es nur, zu sagen, man hoffe, dass es allen gutgehe.

  • Ziele aufs Jahr verteilen: In normalen Jahren reicht vielleicht ein Mitarbeitergespräch, in dem man über die erreichten und die neuen Ziele spricht. In der jetzigen Zeit sollte man jedoch kurzfristigere Ziele vereinbaren. Fragen zum Wohlbefinden können bei Novartis ins Gespräch integriert werden, wenn dies der Mitarbeiter oder der Vorgesetzte möchte. Derzeit geschieht dies in der Hälfte der Gespräche.

  • Empathie und Wertschätzung zeigen: Diverse Banken haben zu Beginn der Pandemie Pläne zum Abbau von Personal sistiert. Ein offenes Bekenntnis zu den Mitarbeitern und das Aufzeigen einer Perspektive können jedenfalls die Verunsicherung wirksam mindern. Wertschätzung zu zeigen, ist ein weiteres probates Mittel. Man lobt also lieber einmal zu viel als zu wenig. Vorgesetzte (aber auch jeder Mitarbeiter) können ein Journal mit den Erfolgen ihres Teams führen, die sie jeweils kurz zu Wochenbeginn Revue passieren lassen.

Der ETH-Forscher von Krogh ist überzeugt, dass unter der Krise die Kreativität in den Firmen leiden kann, auch wenn das niemand gerne einräumt. Brainstorming via Zoom funktioniert einfach nicht so gut, wie wenn man zusammensitzt und ein Gedankenblitz die nächste Assoziation auslöst. Erwiesenermassen wirkt sich die Arbeitszufriedenheit positiv auf die Innovationskraft einer Firma aus. Nimmt sie in der Krise ab, leidet auch die Kreativität.

In Umfragen sagt regelmässig eine überwältigende Mehrheit der Mitarbeiter, dass sie auch nach der Krise zum Teil von zu Hause aus arbeiten möchte. Ein attraktiver Arbeitgeber wird seinen Angestellten eine solche Möglichkeit künftig einräumen müssen. Dies bedeute aber auch, dass man bei Sitzungen klar unterscheiden müsse, ob sie strategischer oder operationeller Natur seien, sagt von Krogh.

Bei strategischen Sitzungen, etwa zur Entwicklung einer neuen Dienstleistung, sei es wichtig, dass man sich physisch treffe, um die Kreativität anzuregen. Operative Sitzungen dagegen sollten auch künftig virtuell stattfinden. Hier solle kein Chef und keine Chefin mehr auf eine Anwesenheitspflicht pochen.